Ein Ehepaar, beide russische Staatsangehörige, wurde
in der Schweiz geschieden. In derselben Entscheidung des schweizerischen
Gerichtes hat sich der Vater des Kindes verpflichtet, monatlich eine bestimmte
Summe auf ein Konto in Russland zum Zwecke der Unterhaltszahlung zu überweisen.
Allerdings hat er regelmäßig nicht die volle Summe bezahlt, sondern nur einen
Teil davon.
Die Mutter des Kindes, die später nach Russland zog,
hat den Vater auf restliche Unterhaltszahlungen vor einem russischen Gericht verklagt.
Die Klage hatte in zwei Instanzen keinen Erfolg. Die
beiden Gerichte gingen davon aus, dass die Sache schon durch ein
schweizerisches Gericht entschieden ist. Deshalb hat die Klägerin keine
rechtlichen Gründe mehr, den Vater nochmal zu verklagen; die Sache ist in der
Schweiz erledigt und damit in Russland ebenfalls. Vor allem, so die russischen
Gerichte, haben die Parteien in dieser Gerichtsentscheidung eine Vereinbarung
getroffen, dass der Vater Kindesunterhalt zu zahlen hat.
Vor dem Obersten Gericht Russlands – OG – hatte die
Rechtsbeschwerde Erfolg. Die beiden Gerichtsentscheidungen wurden aufgehoben.
Das OG hat die Auffassung der unteren Instanzen
bestätigt, dass die Scheidung des schweizerischen Gerichtes in Russland gültig
ist, weil es kein besonderes - zusätzliches - Gerichtsverfahren in Russland für
eine ausländische Scheidung erforderlich ist.
Allerdings hat das OG im Gegensatz zur Auffassung der
unteren Instanzen entschieden, dass die Entscheidung des schweizerischen
Gerichtes, also ein Teil davon, der die Kindesunterhaltsverpflichtung regelt,
für Russland keine Wirksamkeit hat und deshalb die Sache nicht erledigt ist.
Nach dem russischen Recht sind ausländische Urteile grundsätzlich nur dann
anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn zwischen Russland und dem Staat, aus dem
das Urteil herkommt, eine völkerrechtliche Bindung besteht. Das OG stellt fest,
dass es zwischen Russland und der Schweiz keine völkerrechtlichen
Vereinbarungen bestehen, die solche gerichtlichen Entscheidungen anerkennen.
Zum anderen hat das OG klargestellt, dass eine
Vereinbarung - ein Vertrag - über die Kindesunterhaltszahlungen nach dem
russischen Familienrecht unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist und
diese Vereinbarung ein Vollstreckungstitel hat (= Anordnung zur Zahlung). Nach
der Feststellung des OG erfüllt die im Urteil des schweizerischen Gerichtes
geschlossene Vereinbarung zwischen dem Vater und der Mutter diese
Voraussetzungen jedoch nicht, so dass sie in Russland keine rechtliche
Bedeutung hat.
Die Klägerin kann somit in Russland den Vater auf
Kindesunterhaltszahlung klagen.
Praxishinweis:
Eine Klage auf Kindesunterhaltszahlung gegen den
Unterhaltspflichtigen, der im Ausland - in dem kein Übereinkommen über die
Anerkennung und Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen besteht - lebt,
ist in Russland insbesondere dann sinnvoll, wenn der Unterhaltspflichtige in
Russland ein vollstreckungsfähiges Vermögen hat.
Im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz ist
Russland folgenden Haager Übereinkommen, die eine Anerkennung und Vollstreckung
der ausländischen Urteile möglich machen, nicht beigetreten:
vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung
der Unterhaltsansprüche von Kindern und andere Familienangehörigen,
vom 2. Oktober 1973 über die
Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen,
vom 15. April 1958 über die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der
Unterhaltspflicht gegenüber Kindern.
Eine Vereinbarung über
Kindesunterhaltszahlungen muss nach russischem Recht notariell beurkundet
werden. Im Ausland geschlossene Vereinbarung muss entsprechend „legalisiert“
werden, damit sie in Russland rechtlich wirksam wird.
Aleksej Dorochov
Advokat für russisches Recht, Rechtsanwaltskanzlei in Neu-Ulm
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